French Paradox – mit Rotwein die Gesundheit fördern?

Hast du schon einmal gehört, dass Rotwein gut für das Herz ist und daher gesundheitsfördernde Effekte hat? Dieses Phänomen beruht auf der Beobachtung, dass Franzosen – trotz ihres hohen Konsums an Rotwein und gesättigten Fettsäuren – durchschnittlich länger leben und unter ihnen weniger Herzinfarkte auftreten als es bei Deutschen oder Amerikanern der Fall ist. Da Alkohol und gesättigte Fettsäuren allgemein als gesundheitsschädlich angesehen werden, ist eine längere Lebensdauer und ein niedrigeres Risiko für einen Herzinfarkt das Gegenteil von dem, was man erwarten würde. Daher wird dieses Phänomen auch als „French Paradox“ bezeichnet.

Doch wie viel Evidenz steckt tatsächlich hinter diesem Phänomen oder gibt es das French Paradox am Ende gar nicht?

Resveratrol – ein besonderer Inhaltsstoff

Irgendwann kam die Theorie auf, dass die längere Lebenserwartung und das niedrigere Risiko für einen Herzinfarkt auf den hohen Konsum von Rotwein zurückgeführt werden kann. Denn Rotwein hat einen speziellen Inhaltsstoff: das Resveratrol.

Resveratrol ist ein sekundärer Pflanzenstoff, der den Trauben ihre rote Farbe verleiht. Viele Studien untersuchten seine Wirkung und fanden diverse positive, gesundheitsfördernde Eigenschaften. Resveratrol ist stark anti-oxidativ, das heißt es kann schädliche Radikale in den Zellen abfangen und trägt somit zur Erhaltung unserer Gesundheit bei [1]. Zusätzlich hat Resveratrol auch entzündungshemmende, kardioprotektive (also das Herz schützende), blutdrucksenkende und krebshemmende Wirkungen [1, 2].

Und auch auf die Blutzucker- und Fettwerte hat Resveratrol einen positiven Einfluss: es kann die Insulin-Sensitivität und die Aufnahme von Glukose aus dem Blut in die Zellen fördern, wodurch der Blutzuckerspiegel sinkt [2, 3]. Zusätzlich wird mehr Insulin aus den Zellen der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet, was wiederum dazu beiträgt, den Blutzuckerspiegel zu senken [3]. Die Speicherung von Fett in den Fettdepots des Körpers wird verringert, wodurch Resveratrol beim Abnehmen helfen könnte [2]. Neue Studien zeigen auch, dass Resveratrol die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms – unseren Million Friends – positiv beeinflussen kann. Auch dadurch könnten positive Effekte auf den Blutzucker- und Cholesterinspiegel erzielt werden [1, 4].

Das hört sich jetzt natürlich erst einmal wirklich toll an. Doch diese Ergebnisse haben auch einen Haken: die Studien, die die positiven Eigenschaften von Resveratrol untersucht haben, wurden fast ausschließlich an Tieren durchgeführt. Durch Unterschiede im Stoffwechsel sind Daten aus Tierstudien allerdings nicht direkt auf den Menschen übertragbar. Es gibt nur wenige Studien, die die Effekte von Resveratrol am Menschen untersuchten. Und diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die gesundheitsfördernden Effekte beim Menschen deutlich niedriger oder sogar gar nicht vorhanden sind [2, 4]. Hier ist also noch eine Menge wissenschaftlicher Arbeit notwendig, um Licht in das Dunkel zu bringen.

Der Hormesis-Effekt: Mehr ist nicht gleich besser

Nun ist es so, dass wir Resveratrol natürlich nicht als einzelnen Stoff zu uns nehmen, sondern in einem Gemisch mit zahlreichen weiteren Stoffen, die ebenfalls alle ihre eigenen Wirkungen haben. Und in Rotwein ist nun einmal auch ein gesundheitsschädlicher Stoff enthalten: der Alkohol. Alkohol ist nicht nur die am häufigsten konsumierte psychoaktive Droge Deutschlands, sondern schädigt massiv die Leber, kann bis zur Leberzirrhose und Leberkrebs führen, das Nervensystem negativ beeinträchtigen und ist krebserregend [5, 6, 7].

Nicht umsonst wurde Alkohol von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Humankarzinogen Klasse 1 eingeteilt. Das bedeutet so viel wie: es besteht ein ausreichender wissenschaftlicher Nachweis dafür, dass Alkohol krebserregend ist [8].

Aber wie kann es dann sein, dass laut „French Paradox“ der Konsum von Rotwein das Leben verlängert, kardioprotektiv wirkt und sogar den Blutzuckerspiegel senkt? Die Menge ist entscheidend! Rotwein und Resveratrol zeigen einen sogenannten Hormesis-Effekt. Das bedeutet, die Wirkung ist abhängig von der Dosis. In niedriger Konzentration zeigt Resveratrol einen gesundheitsfördernden Effekt. Erhöht man jedoch die Dosis, sind die Eigenschaften eher nachteilig und gesundheitsschädlich [9].

In wissenschaftlichen Studien wurde gezeigt, dass ein geringer bis moderater Alkoholkonsum – besonders in Form von Rotwein – das Risiko für Typ 2 Diabetes senken kann [10, 11]. Dieser positive Effekt ist auch mit verbesserter Insulin-Sensitivität assoziiert [12]. Auch das gesundheitsfördernde HDL-Cholesterin kann durch niedrigen bis moderaten Alkoholkonsum erhöht und Entzündungsmarker im Körper gesenkt werden [12]. Gleichzeitig zeigen Studien aber auch, dass ein höherer Alkoholkonsum keinerlei positive Effekte erzielt [13].

Mehr ist also nicht gleich besser. Was genau bedeutet ein „moderater“ Alkoholkonsum? Die WHO gibt für einen risikoarmen (nicht zu verwechseln mit einem risikofreien!) Alkoholkonsum maximal 24 g Ethanol pro Tag für Männer und maximal 12 g Ethanol pro Tag für Frauen an. Zusätzlich sollte es mindestens 2 vollständig alkoholfreie Tage pro Woche geben. 12 g Ethanol entspricht einem Standardglas des jeweiligen alkoholischen Getränks [8, 12]. Wer mehr als diese Menge trinkt, schadet dem Körper deutlich.

Nutzen oder Risiko – was überwiegt?

Wie viel Evidenz steckt nun tatsächlich hinter dem French Paradox? Dass Franzosen länger leben und seltener Herzinfarkte haben, muss nicht zwangsläufig auf den Konsum von Rotwein zurückzuführen sein. Es könnte ja auch sein, dass sich die Menschen in Frankreich insgesamt anders ernähren als beispielsweise in Deutschland oder den USA. Tatsächlich ist in Frankreich die mediterrane Diät stärker verbreitet. In dieser Ernährungsform ist der Anteil an Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Fisch und hochwertigen Ölen deutlich höher, wohingegen gleichzeitig der Konsum an Fertiggerichten, einfachem Zucker oder frittierten Lebensmitteln niedriger ist. Die gesundheitsfördernden Effekte der mediterranen Diät konnten in diversen Studien gezeigt werden [14, 15, 16].

Möglicherweise kann Rotwein – wenn in geringen Mengen konsumiert – gesundheitsfördernde und kardioprotektive Effekte erzielen. Ob das wirklich der Fall ist, ist nicht abschließend geklärt. Womöglich ist das French Paradox daher eher ein Mythos als Realität.

Da aber die positiven Eigenschaften von Resveratrol in diversen (tierexperimentellen) Studien gezeigt wurden, stellt sich hier natürlich eine Frage: wenn vor allem Resveratrol für den gesundheitsfördernden Effekt von Rotwein verantwortlich ist, könnte man dann nicht auch einfach Traubensaft trinken oder rote Trauben essen? Die Antwort ist ganz einfach: ja, das kann man. Denn Resveratrol kommt nicht nur in Rotwein vor. Auch in der Schale von roten Weintrauben, Traubensaft, Erdnüssen, Maulbeeren, Preiselbeeren und Hülsenfrüchten ist Resveratrol enthalten [1, 2]. Und das Gute: die gesundheitsschädlichen Aspekte des Alkohols sind in den anti-alkoholischen Alternativen nicht vorhanden.

Am Ende muss nun jeder für sich selbst entscheiden, ob der Nutzen oder das Risiko des Konsums von Rotwein überwiegen.

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Literaturverzeichnis

[1] Carrera-Quintanar L, López Roa RI, Quintero-Fabián S et al. Phytochemicals That Influence Gut Microbiota as Prophylactics and for the Treatment of Obesity and Inflammatory Diseases. Mediators Inflamm 2018; 2018:9734845. doi: 10.1155/2018/9734845

[2] Chaplin A, Carpéné C, Mercader J. Resveratrol, Metabolic Syndrome, and Gut Microbiota. Nutrients 2018; 10(11):1651. doi: 10.3390/nu10111651

[3] Huang DD, Shi G, Jiang Y et al. A review on the potential of Resveratrol in prevention and therapy of diabetes and diabetic complications. Biomed Pharmacother 2020; 125:109767.doi: 10.1016/j.biopha.2019.109767

[4] Fernández-Quintela A, Carpéné C, Fernández M et al. Anti-obesity effects of resveratrol: comparison between animal models and humans. J Physiol Biochem 2016; 73(3):417-429. doi: 10.1007/s13105-016-0544-y

[5] Varela-Rey M, Woohoo A, Martinez-Chantar ML et al. Alcohol, DNA methylation, and cancer. Alcohol Res 2013; 35(1):25-35

[6] Lackner C, Tiniakos D. Fibrosis and alcohol-related liver disease. J Hepatol 2019; 70(2):294-304. doi: 10.1016/j.jhep.2018.12.003

[7] De la Monte SM, Kril JJ. Human alcohol-related neuropathology. Acta Neuropathol 2014; 127(1):71-90. doi: 10.1007/s00401-013-1233-3

[8] World Health Organization/ International Agency for Research on Cancer. Agents Classified by the IARC Monographs, Volumes 1–130. Im Internet: https://monographs.iarc.who.int/list-of-classifications

[9] Calabrese EJ, Mattson MP, Calabrese V. Dose response biology: the case of resveratrol. Hum Exp Tol 2010; 29(12):1034-7. doi: 10.1177/0960327110383641

[10] Koppes LL, Dekker JM, Hendriks HF et al. Moderate alcohol consumption lowers the risk of type 2 diabetes: a meta-analysis of prospective observational studies. Diabetes Care 2005; 28:719–25. doi: 10.2337/diacare.28.3.719

[11] Baliunas DO, Taylor BJ, Irving H et al. Alcohol as a risk factor for type 2 diabetes: A systematic review and meta-analysis. Diabetes Care 2009; 32:2123–32. doi: 10.2337/dc09-0227

[12] Chiva-Blanch G, Arranz S, Lamuela-Raventos RM et al. Effects of wine, alcohol and polyphenols on cardiovascular disease risk factors: evidences from human studies. Alcohol Alcohol 2013; 48(3):270-7.doi: 10.1093/alcalc/agt007

[13] Mekary RA, Rimm EB, Giovannucci E et al. Joint association of glycemic load and alcohol intake with type 2 diabetes incidence in women. Am J Clin Nutr 2011; 94:1525–32. doi: 10.3945/ajcn.111.023754

[14] Davis C, Bryan J, Hodgson J et al. Definition of the Mediterranean Diet; a Literature Review. Nutrients 2015; 7(11):9139-53. doi: 10.3390/nu7115459

[15] Gantenbein KV, Kanaka-Gantenbein C. Mediterranean Diet as an Antioxidant: The Impact on Metabolic Health and Overall Wellbeing. Nutrients 2021; 13(6):1951. doi: 10.3390/nu13061951

[16] Nani A, Murtaza B, Khan AS et al. Antioxidant and Anti-Inflammatory Potential of Polyphenols Contained in Mediterranean Diet in Obesity: Molecular Mechanisms. Molecules 2021; 26(4):985. doi: 10.3390/molecules26040985

Über die Autorin
Jasmin Ostermann

Jasmin Ostermann

Jasmin studiert im Master Nutritional Medicine und arbeitet seit Dezember 2021 als Werkstudentin bei Perfood. Durch ihr Studium hat sie erlebt, welchen großen Einfluss Ernährung auf die Gesundheit und die Lebensqualität der Menschen haben kann und dass einige Krankheiten durch Ernährung sogar geheilt werden können. Dadurch angetrieben, möchte sie ihr Wissen gerne mit euch teilen.

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